9. Juni 1873, Leordeni: ein Reisebericht des Fürsten Carol als Inspirationsquelle für Carmen Sylva

9. Juni 1873, Leordeni: ein Reisebericht des Fürsten Carol als Inspirationsquelle für Carmen Sylva

Einige Abschnitte aus einem Brief aus Leordeni verfaßt am 9. Juni 1873, als König Carol (damals noch Fürst von Rumänien) auf dem Gut der Familie Kretzulescu verweilte – Brief aus dem wir auch von einem Besuch im Sträflings-Bergwerk in Ocna Mare erfahren, sowie über die Lebensbedingungen der Gefangenen von dort, was Elisabeth als Inspirationsquelle für die Geschichte „Neaga“ verwendet, die sie 1885/1887 in dem Band „Durch die Jahrhunderte“ unter ihrem Schriftstellernamen Carmen Sylva veröffentlicht: 

„Bei großer Hitze fuhren wir um 8 Uhr von Tirgu Jiu ab, zwei Bergketten mussten wir überschreiten um den Distrikt von Rimnicul Vilcei zu erreichen; erst Abends sechs Uhr gelangten wir im Kloster Horezu an, wo ich von den Herrn Lahovary Vater und Sohn, E. Grecéno usw. erwartet wurde, die Nonnen empfingen mich mit Gesang und geleiteten mich an die hellerleuchtete Kirche. Den Abend verbrachten wir sehr angenehm, zuerst saßen wir lange auf der schönen Terrasse und machten dann einen Rundgang in dem enormen Kloster, das einsam und verlassen in einem Wald-Tale liegt. […] Horezu ließe sich in ein wahres Feenschloss im mittelalterlichen Style umwandeln, an sechzig Zimmer alle hoch und geräumig könnten als angenehme Wohn-Räume eingerichtet werden. […] Ich war froh wie des Morgens der erste Sonnenstrahl auf mein Bett schien und wie ich aus dem ernsten Waldthale in das liebliche Wiesenthal der Bistritza kam, durch welches ich des Morgens um acht Uhr ritt, um nach dem Kloster Bistritza hinabzusteigen. Um 9 Uhr langte ich dort an und besuchte gleich die schöne Felsenschlucht, in der die Wasserfälle brausend und schäumend hinabstürzten. Nach einem zweistündigen Aufenthalt, während welchem wir im großen Saale dejeunierten, setzten wir die Reise auf sehr schlechten Wegen fort und erreichten um fünf Uhr abends die Salinen von Ocna mare. Auf 450 Stufen stiegen wir in die großen Salzhallen hinab, die glänzend erleuchtet waren, es brannten an 10.000 Kerzen, 400 Gefangene jeder ein Licht in der Hand waren aufgestellt und begleiteten mich auf meinem Rundgange, das Geklirre ihrer Ketten widerhallte unheimlich in den enormen Hallen und ehe ich dieselben verließ warfen sich die Unglücklichen auf die Knie um die Begnadigung zu erflehen. Das sind schwierige Momente für jemanden der das Recht zu begnadigen hat und darf dabei nicht das Herz allein sprechen, denn man hat es mit schweren Verbrechern zu tun. Trotzdem begnadigte ich 12 Sträflinge und reduzierte von 24 die lebenslängliche Haft auf zwanzig Jahre. Unter den Begnadigten befanden sich auch zwei, welche einige Augenblicke vorher mein Leben in der Hand hatten, ich fuhr nämlich in einem Korb aus dem Schacht heraus, der von zwei Sträflingen hinaufgewunden wurde […]. Abends 7 ½ Uhr kam ich nach Rimnicu, wo mir ein glänzender Empfang gemacht wurde; viele tausende von Menschen waren an der Barriere und empfingen mich mit Hurras, nach den Reden bestieg ich einen Gala-Wagen und der Zug bewegte sich langsam nach der Episkopie, die Straßen und Häuser waren mit Fahnen, Teppichen und unseren Portraits dekoriert, zahllose Blumen-Bouquets wurden mir in den Wagen geworfen. Abends beim Diner brachte A. Lahovary einen sehr schönen Toast aus, in dem er hervorhob, dass jedes Mal wenn ich nach Rimnicu kam, die Stadt und der Distrikt einen materiellen Fortschritt gemacht: das erste Mal ließ ich eine Brücke auf dem Lotru bauen, später ordnete ich die Straße nach Dragaşani an, die heute vollendet ist u. mein jetziger Besuch wird durch die Erbauung der steinernen Brücke auf dem Olt-Fluss markiert werden. In meiner Antwort hob ich hervor, dass heute Straßen und Brücken nicht allein genügen einer Gegend Leben zu geben und ihr einen ungestörten Handel zu sichern, heutzutage wird nicht nur auf eine sichere, sondern auch auf eine rasche Beförderung gesehen und diese Bedingung können nur die Eisenbahnen erfüllen, ich hege daher den aufrichtigen Wunsch bald einen Schienen-Weg durchs Olt-Tal nach Hermannstadt zu sehen etc. Mit einem endlosen Enthusiasmus wurden meine Worte begrüßt und alle sagten: „Wenn Ihre Hoheit es wünscht, wird es passieren“; ich konnte nicht unterlassen zu antworten, dass ich gewollt, aber die Herrn Deputierten dagegen waren und nichts von den Verbindungen hören wollten, es saßen sechs am Tische die protestierten dagegen und versprachen in der nächsten Session für die Eisenbahnen einzutreten.“

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Briefquelle: Rumänisches Nationalarchiv Bukarest (Transkription des Zitats hier mit Anpassung an die aktuelle Rechtschreibung).

Veröffentlichte Briefedition (in diplomatischer Transkription):

„In zärtlicher Liebe Deine Elisabeth“ – „Stets Dein treuer Carl“. Der Briefwechsel Elisabeths zu Wied (Carmen Sylva) mit ihrem Gemahl Carol I. von Rumänien aus dem Rumänischen Nationalarchiv in Bukarest. 1869-1913. Historisch-kritische Ausgabe. Herausgegeben, kommentiert und eingeleitet von Silvia Irina Zimmermann. [Schriftenreihe der Forschungsstelle Carmen Sylva – Fürstlich Wiedisches Archiv, Band 6 und 7], 2 Teilbände, insgesamt 952 Seiten, 66 schwarz-weiße und 14 farbige Abbildungen, Stuttgart: ibidem-Verlag, 2018.

Details zum Editionsprojekt:

https://www.carmensylva-fwa.de/publ/fscsfwa-briefedition.html

Details zur Briefedition auf Seite des Ibidem Verlags:

https://www.ibidem.eu/de/reihen/geschichte/schriftenreihe-der-forschungsstelle-carmen-sylva-fuerstlich-wiedisches-archiv/briefe-koenigin-elisabeths-an-koenig-carol-i-aus-dem-rumaenischen-staatsarchiv-9783838212210.html