Zur Entstehung der Forschungsstelle Carmen Sylva des Fürstlich Wiedischen Archivs
Zur Entstehung der Forschungsstelle Carmen Sylva des Fürstlich Wiedischen Archivs
Carmen Sylva als Forschungsthema
von Silvia Irina Zimmermann
Die Öffnung der historischen Archive in Rumänien nach dem Sturz der kommunistischen Regierung im Winter 1989 stellt für die Geschichtsforschung ein wichtiges Moment dar. Das in den rumänischen Archiven aufbewahrte Material über das aus deutschen Fürstenhäusern stammende erste Königspaar von Rumänien, Carol I. und Elisabeth, ist für die Forschung über die Geschichte der Monarchie in Rumänien, die historischen Persönlichkeiten sowie über das gesamte gesellschaftliche Umfeld des Königshofes in Bukarest und Sinaia von größter Relevanz. Auch für die Geschichte der Deutschen im südosteuropäischen Raum und im Hinblick auf den Einfluss des ersten Königspaares von Rumänien auf die rumänische Gesellschaft und die deutsch-rumänischen Beziehungen zu ihrer Zeit stellen die rumänischen Archive eine wertvolle Quelle dar. Denn, obwohl schon zu Lebzeiten Carols I. und Elisabeths von Rumänien Aufzeichnungen und Briefe des Königspaares veröffentlicht wurden, gibt es bis heute nur wenige historisch-kritische Editionen, in denen die Originaldokumente textgetreu und vollständig wiedergegeben, nach wissenschaftlichen Kriterien ediert und kommentiert sind und somit als Arbeitsmittel für Wissenschaftler zur Verfügung stehen. Des Weiteren sind die früheren deutschsprachigen Ausgaben z.B. der Aufzeichnungen von König Carol 1. in rumänischer Übersetzung in einer deutlich kleineren Auswahlausgabe in Rumänien erschienen. Auch die ersten neueren Biografien zu Carmen Sylva nach 1990 griffen alte Biografien auf, anstatt Erkenntnisse aus neu erschlossenen Archivquellen darzubieten.
Seit 2010 sind im wissenschaftlichen Verlag Ibidem in Stuttgart in Zusammenarbeit mit dem Fürstlich Wiedischen Archiv in Neuwied mehrere neue Bücher über die Königin und Schriftstellerin Carmen Sylva erschienen: zwei Forschungsarbeiten von Silvia Irina Zimmermann über das literarische Werk der Monarchin und die deutsche Übersetzung einer neueren rumänischen Biografie Carmen Sylvas von Gabriel Badea-Păun. Darüber hinaus veröffentlicht wurden mehrere Studien- und Leseausgaben aus dem literarischem Werk, wie die gesammelten deutschen und französischen Aphorismen und Epigramme „Les pensees d‘une reine“ und die gesammelten Märchen („Aus Carmen Sylvas Königreich“, Band 1: „Rumänische Märchen“, Band 2: „Märchen einer Königin“) sowie vier Leseausgaben mit ausgewählten Texten, nämlich „Gedanken einer Königin“ (ausgewählte Aphorismen), „Pelesch-Märchen“ und „Prinz Waldvogel“ (ausgewählte Märchen) und „Seelengespräche“ (Andachten). Die genannten Forschungsarbeiten und Neueditionen aus dem literarischen Werk zeigen, dass das Thema Carmen Sylva sehr umfangreich und vielschichtig ist und noch viele neue Erkenntnisse und Neuinterpretationen aus heutiger Sicht bieten kann.
Angesichts dieser Tatsachen reifte der Gedanke heran, die Erkenntnisse der neueren Forschung zum Leben und Werk Carmen Sylvas im europäischen Kontext zu bündeln und die Forschungsstelle im Fürstlich Wiedischen Archiv zu gründen, mit dem Ziel, neuere Studien, Sammelbände und Neuausgaben zum Leben und Werk der Königin und Schriftstellerin zu erarbeiten sowie neuere Editionen von Briefen, Tagebüchern und Aufzeichnungen des ersten Königspaares von Rumänien in deutsch-rumänischer Kooperation zu realisieren. Bestärkt wurde diese Überlegung auch dadurch, dass die Monarchie- und Adelsgeschichte des 19. Und 20. Jahrhunderts in der neueren historischen Forschung sowie in Buchpublikationen und Dokumentarfilmen in den letzten Jahren verstärkt wahrzunehmen ist – in Rumänien angesichts des seit 1990 erhöhten Interesses an einer Erarbeitung der Geschichte der rumänischen Monarchie, die bis 1990 in Rumänien ein verbotenes Thema war, und in Deutschland aufgrund der neueren interdisziplinären, sozial und kulturgeschichtlichen Forschung zur Adelsgeschichte im europäischen und transnationalen Kontext, zu den Änderungen und Anpassungen tradierter adeliger Lebensformen und des exklusiv-elitären Verständnisses als Antwort auf die Herausforderungen der Moderne bis hin zu den neuen Konzepten von Adel und Aristokratismus von 1890 bis 1945.
Die Forschungsstelle Carmen Sylva im Fürstlich Wiedischen Archiv wurde am 4. August 2012 von S.D. Carl Fürst zu Wied (Fürstenhaus Wied), Dr. Hans-Jürgen Krüger (Leiter des Fürstlich Wiedischen Archivs) und Dr. Silvia Irina Zimmermann (Initiatorin und Leiterin der Forschungsstelle) gegründet. Die Veröffentlichung der Website der Forschungsstelle erfolgte Mitte August 2012 mit dem ausdrücklichen Ziel, die interdisziplinäre wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Leben, dem schriftstellerischen Werk und der Wirkung Carmen Sylvas im interkulturellen Kontext ihrer Zeit zu beleben, den rumänischen Hof zur Zeit des ersten Königspaares Carol 1. und Elisabeth von Rumänien im europäischen Kontext darzustellen und neue Editions- und Forschungsarbeiten in der Schriftenreihe der Forschungsstelle zu veröffentlichen. Die bereits gute
Zusammenarbeit mit dem Ibidem-Verlag zum Thema Carmen Sylva bot zudem günstige Voraussetzungen auch für die Veröffentlichungen der Forschungsstelle. Eine weitere Voraussetzung im Hinblick auf Kooperationen mit anderen Archiven und Forschungseinrichtungen war die Bildung eines deutsch-rumänischen wissenschaftlichen Beirats, der die Forschungsstelle unterstützen und in allen Fragen der Organisation sowie des wissenschaftlichen Arbeitens beraten sollte. Dieses Gremium traf sich zum ersten Mal im September 2013 auf Einladung des Fürsten Carl zu Wied in Schloss Neuwied.
In den bisher erschienenen Bänden der Schriftenreihe der Forschungsstelle werden verschiedene Aspekte in Leben und Werk Carmen Sylvas dargestellt, und einige Bände der Schriftenreihe sind auch in rumänischer Übersetzung in rumänischen Verlagen erschienen:
Band 1 (2014), „Unterschiedliche Wege, dasselbe Ideal: Das Königsbild im Werk Carmen Sylvas und in Fotografien des Fürstlich Wiedischen Archivs“ von Silvia Irina Zimmermann, mit einem Vorwort von Hans-Jürgen Krüger enthält eine erstmalige Studie über das Königsbild im literarischen Werk Carmen Sylvas und zeigt, dass viele ihrer Werke im Dienst des Königreichs Rumänien verfasst und veröffentlicht wurden. Die Behauptung in den älteren Biografien, dass Carmen Sylva republikanisch gesinnt gewesen sei, wird hier mithilfe von Quellenvergleichen und Zitaten aus Briefen und Archivdokumenten sowie einem erstmals neu veröffentlichten Essay Carmen Sylvas über ihre Meinung zur Monarchie widerlegt. Der Band enthält zudem den vollständigen, neu edierten literarischen Reisebericht „Rheintochters Donaufahrt“ von 1905 und einen Bilderteil mit zahlreichen historischen Fotografien des Königspaares Carol I. und Elisabeth von Rumänien mit handschriftlichen Erklärungen der Königin für ihre Familie in Neuwied (rumänische Ausgabe: Editura Curtea Veche, Bucureşti, 2014).
Die Sammelbände 2 und 3 (2015), „Carmen Sylva: Die Schriftstellerin und erste Königin von Rumänien im Kontext ihrer Zeit“ und „Das erste Königspaar von Rumänien Carol 1. und Elisabeta: Aspekte monarchischer Legitimation im Spiegel kulturpolitischer Symbolhandlungen“, herausgegeben, eingeleitet und mit Übersetzungen aus dem Rumänischen ins Deutsche von Silvia Irina Zimmermann und Edda Binder-Iijima enthalten Beiträge aus der neuesten Forschung in Deutschland und Rumänien zur Dichterin und Königin Carmen Sylva sowie über das Königspaar Carol I. und Elisabeth im Kontext ihrer Zeit und die Legitimations- und Repräsentationsstrategien des Bukarester Hofes im europäischen Kontext. Die Bände enthalten Beiträge von Ruxanda Beldimann, Bianca Bican, Edda Binder-Iijima, Liviu Brătescu, Sorin Cristescu, Simion Dănilă, Ştefania Dinu, Alexandru Istrate, Hans-Jürgen Krüger, Adriana Cristina Mazilu, Macrina Oproiu, Stephan Puille, Cristina Popescu, Adriana Roşca, Maria Sass, Horst Schuller, Nicolae-Serban Tanaşoca, Carmen Tănăsoiu, Bernd Willscheid und Silvia Irina Zimmermann.
Band 4 (2016), „Heimweh ist Jugendweh“, herausgegeben von Silvia Irina Zimmermann und Bernd Willscheid, mit einem Vorwort von Isabelle Fürstin zu Wied, stellt neuere Erkenntnisse über die Erinnerungen Elisabeths an ihre Kindheit und Jugend in Neuwied vor und zeigt auch einen Vergleich zu den Kindheitserinnerungen anderer adeliger Schriftstellerinnen ihrer Zeit wie Marie von Ebner-Eschenbach und Lily Braun. Der Hauptteil des Bandes enthält die Erinnerungen Carmen Sylvas aus dem Originalband „Mein Penatenwinkel“ von 1908 neu ediert, kommentiert und mit einem Personenverzeichnis versehen.
Band 5 (2017), „Monsieur Hampelmann – Domnul Pulcinel. Ein Märchen aus der Exilzeit der Königin Elisabeth von Rumänien“, herausgegeben von Silvia lrina Zimmermann, enthält das viersprachige Märchen „Monsieur Hampelmann“ und die Faksimiles der handgeschriebenen Seiten Carmen Sylvas mit den Illustrationen des Andre Lecomte du Noüy. Die Einleitung zeichnet die Entstehungsgeschichte dieses Märchen nach, wobei hier der Hofarchitekt Andre Lecomte du Noüy (und nicht sein Bruder, der Maler) anhand der Briefe Carmen Sylvas an König Carol l. als der eigentliche Illustrator des Märchens erstmals identifiziert wird (rumänische Ausgabe: herausgegeben von Silvia Irina Zimmermann, Editura Vremea, Bucureşti, 2017).
Die Bände 6 und 7 (2018), „’In zärtlicher Liebe Deine Elisabeth‘ – ‚Stets Dein treuer Carl‘. Der Briefwechsel Elisabeths zu Wied (Carmen Sylva) mit ihrem Gemahl Carol I. von Rumänien aus dem Rumänischen Nationalarchiv in Bukarest. 1869-1913“, sind eine historisch-kritische Ausgabe des gesamten und unzensierten Briefmaterials des Königspaares, herausgegeben, kommentiert und eingeleitet von Silvia Irina Zimmermann. Der erste Teilband enthält die Briefe aus den Jahren von 1869 bis 1890: „Anfangsjahre in Rumänien. Unabhängigkeitskrieg. Königreich Rumänien“ und der zweite Teilband die Briefe der Jahre von 1891 bis 1913: „Exil der Königin. Rückkehr auf den rumänischen Thron“. Das Editionsprojekt erfolgte in Kooperation mit dem Rumänischen Nationalarchiv in Bukarest (rumänische Auswahlausgabe: herausgegeben und ins Rumänische übersetzt von Silvia Irina Zimmermann und Romanita Constantinescu, Editura Humanitas, Bucureşti, 2020 [in Vorbereitung]).
Band 8 (2019), „’Die Feder in der Hand bin ich eine ganz andre Person‘. Carmen Sylva (1843-1916), Leben und Werk“ von Silvia Irina Zimmermann, mit einem Vorwort von Isabelle Fürstin zu Wied, enthält eine Bildanalyse über Carmen Sylva in der Memoirenliteratur und in den früheren Biografien, gefolgt von einer Biografie in Bildern, Zeitzeugnissen und neu erschlossenen Dokumenten aus den Archiven und der privaten Korrespondenz der Königin mit ihrem Gemahl König Carol I. von Rumänien und mit Familienmitgliedern aus Neuwied und Sigmaringen. Die zahlreichen Fotografien und Abbildungen zu Leben und literarischem Werk der Königin Elisabeth, die im Buch veröffentlicht sind, stammen aus dem Fürstlich Wiedischen Archiv (228, davon 9 farbig) und aus der Privatsammlung der Autorin (142, davon 16 farbig). Der Band enthält eine umfangreiche Bibliografie zu Carmen Sylva sowie ein Personenverzeichnis.
Band 9 (2020), “The Child of the Sun: Royal Fairy Tales and Essays by the Queens of Romania, Elisabeth (Carmen Sylva, 1843-1916) and Marie (1875-1938)”, herausgegeben, eingeleitet und mit einer Bibliografie von Silvia Irina Zimmermann, enthält eine Auswahl der literarischen Texte aus den englischen Ausgaben der Märchen und autobiografischen Essays der ersten beiden Königinnen und Schriftstellerinnen Rumäniens, mit welchen beide um 1900 eine auf das Vereinigte Königreich von Großbritannien und die Vereinigten Staaten von Amerika gezielte literarische Öffentlichkeitsarbeit und Lobbytätigkeit für das Königsreich Rumänien verfolgten.
Die Schriftenreihe der Forschungsstelle Carmen Sylva des Fürstlich Wiedischen Archivs wird von Dr. Silvia Irina Zimmermann und Dr. Edda Binder-Iijima herausgegeben und erscheint in loser Reihenfolge.
Bände 10 und 11 (2022):
„Geliebter Vater und treuster Freund. Der Briefwechsel des Königspaares Carol I. und Elisabeth von Rumänien mit Fürst Karl Anton von Hohenzollern-Sigmaringen aus dem Rumänischen Nationalarchiv in Bukarest (1866-1885)“. Historisch-kritische Ausgabe. Herausgegeben, kommentiert und eingeleitet von Silvia Irina Zimmermann. Schriftenreihe der Forschungsstelle Carmen Sylva – Fürstlich Wiedisches Archiv, 2 Bände, 962 Seiten, Ibidem-Verlag, Stuttgart, 2022, ISBN 9783838217161.
Teilband I: 1866-1876. Anfangsjahre des Fürsten Carol I. in Rumänien, 508 Seiten, ISBN 9783838215884.
Teilband II: 1877-1885. Unabhängigkeit Rumäniens und Erhebung zum Königreich, 454 Seiten, ISBN 9783838217086.
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Dr. Silvia Irina Zimmermann studierte an den Universitäten in Hermannstadt/Sibiu und Marburg Germanistik, Anglistik, Kunstgeschichte sowie Soziologie und promovierte über das literarische Werk Carmen Sylvas an der Universität Marburg. Sie ist Initiatorin und ehrenamtliche Leiterin der Forschungsstelle Carmen Sylva des Fürstlich Wiedischen Archivs sowie Mitherausgeberin der Schriftenreihe der Forschungsstelle (www.carmensylvafwa.de).
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Der Beitrag ist eine aktualisierte Version des Artikels erschienen in: Deutsch-Rumänische Hefte (Halbjahresschrift der Deutsch-Rumänischen Gesellschaft, Berlin), Jg. XXIII, Heft 1, Sommer 2020, S. 10-12.